Anfang der 60er-Jahre auf dem Anger

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Eine Postkarte von Anfang der 60er Jahre zeigt wieder viele Details, die heute schon vergessen sind. Neben dem bekannte Verkehrsturm mit weiß gekleidetem Verkehrspolizisten fällt der große Lampenmast auf, an dem eine größere Anzahl von Lautsprechern befestigt ist. Da sie nicht den Verkehrsbetrieben gehörten und der Verkehrsturm einen eigenen Lautsprecher hatte, über den der Verkehrspolizist Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zeitnah korrigierte, dürfte es sich eher um eine Anlage für propagandistische Zwecke jener Zeit handeln. Das wäre wohl heute ein Thema für den Lärmaktionsplan zur Verringerung der Umweltbelastungen...

Das DDR-Reisebüro am Angereck ist noch nicht gebaut - da wo heute Hugendubel ist - aber zeitweise standen dort mehrere Buden auf den vom Krieg hinterlassenen Freiflächen, von denen eine auch einer gastronomischen Versorgung diente, vermutlich mit Selbstbedienung, denn Personal war in der DDR ja ein ständiger Engpass und im Freien wollte damals kaum jemand Kellnern.

Anfang der 60er-Jahre - Verkehrskanzel auf dem Anger

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Unser Verkehrsturm aus der Magdeburger Allee Anfang der 60er Jahre. Der diensthabende Verkehrspolizist steuerte aus diesem Turm die Ampelanlagen auf dem Anger und die auf der Lichtzeichenanlage montierten Lautsprecher ermöglichten die direkte Ansprache an sich nicht regelkonform verhaltende Verkehrsteilnehmer.

Verkehrspolizisten waren an den weißen Mützenüberzügen und Jacken erkennbar und beherrschten einen faszinierenden Verkehrsstabgebrauch aus dem Handgelenk zur Zeichenabgabe "zügig vorbeifahren", natürlich nicht aus dem Turm heraus, sondern beim Regulieren an Straßenkreuzungen.

Diese Uniform brachte den Polizisten den nicht abwertend gemeinten Namen "weiße Mäuse" ein und vielleicht erinnern sich die Älteren unter uns sogar noch an den DEFA-Film "Geliebte weiße Maus" mit Rolf Herricht, der aber in Dresden am Körnerplatz gedreht wurde und eigentlich eine ganz schöne Schnulze war... Abschließend sei der Blick noch auf das Telefon im Verkehrsturm gelenkt, damals der Standard und fürchterlich schwer...

1960 - Endschleife Gothaer Straße

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Im Vorgriff auf die Internationale Gartenbauausstellung 1961 war im Oktober 1960 die Strecke zur neuen Endschleife an der Gothaer Straße eröffnet worden. Danach fiel die Strecke erst mal in eine Art Dornröschenschlaf, denn bis zur Eröffnung der iga waren es ja noch ein paar Monate. Und so sieht die neue Wendeschleife im Januar 1961 noch ein bisschen unfertig aus. Interessant auch der geschlämmte Bahnsteig, eine damals nicht ungewöhnliche Bauweise mit ökologischen Vorteilen. Gut, soweit dachte damals noch niemand, es ging um Ökonomie und Ressourcen.

Interessant die Ausschilderung unseres Triebwagens 87: Er fuhr als Pendelwagen zum Gothaer Platz und hatte dort Anschluss an die Linien 2 und 5. Erst mit Eröffnung der Gartenbauausstellung wurde die Linie 2 durchgehend vom Löberwallgraben zur Endstelle iga - so hieß seitdem die neue Schleife - betrieben. In Erwartung eines hohen Fahrgastaufkommens wurde die Schleife zweigleisig angelegt, das gab es bis dahin nur an der Thüringenhalle - aus den gleichen Erwägungen heraus. Und eine Besonderheit war der niveaufreie Zugang unter der Gothaer Straße hindurch, wie er auch heute noch existiert.

1965 - Einrichtungswagen in der Karl-Marx-Allee

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Die Verkehrsbetriebe planten ab Ende der 30er Jahre, mittelfristig das Straßenbahnnetz zum Einrichtungsbetrieb umzugestalten. So nennt man die Betriebsabwicklung mit Wendeschleifen oder Gleisdreiecken (in Erfurt nicht vorhanden), bei denen die Triebwagen nicht umgekuppelt werden müssen, sondern quasi der ganze Straßenbahnzug gedreht wird. Damit benötigt man nur noch Wagen mit einer Türseite und kann die Sitze überwiegend in Fahrtrichtung anordnen, damals wie heute ein Komfortmerkmal. Und neben der Einsparung eines Führerstandes beim Triebwagen und dem damit verbundenen Platzgewinn ermöglicht diese Verfahrensweise einen erheblichen Zeitgewinn an den Endstellen, es verringert den Personalaufwand und erhöht auch die Durchlassfähigkeit der Wendeanlage, was bei dichten Zugfolgen notwendig ist und auch die Störanfälligkeit senkt. Der Vollständigkeit halber sei auch der Nachteil nicht verschwiegen: Man braucht natürlich auch Platz für die Wendeschleifen und verschiedene Lösungsmöglichkeiten hat unser Netz ja zu bieten.

Der nördliche Endpunkt der Linie 1 erhielt seine Wendeschleife 1951, in dem das Malzwerk via Roststraße und Vollbrachtstraße „umrundet“ wurde. Da das Malzwerk einen Eisenbahngleisanschluss zum Bahnhof Erfurt Nord besaß, musste auch eine schienengleiche Kreuzung gebaut werden, damals wie heute (Stotternheimer Straße) äußerst ungeliebt. Die neue Endstelle erhielt wenig später auch den im Bild sichtbaren Fahrgastunterstand, der sich an der alten Kuppelendstelle auf der heutigen Magdeburger Allee infolge der damaligen Bebauung nur schwerlich unterbringen ließ.

Als unsere Aufnahme 1965 entstand, hatte die vormalige Stalinallee mit Karl-Marx-Allee schon länger ihren Namen geändert. Zu dieser Zeit wurde die Linie 1 noch nicht mit den beschriebenen Einrichtungswagen bedient, obwohl die Linie 1964 am Dalbergsweg ebenfalls eine Wendeschleife erhalten hatte. Bis dahin konnten Einrichtungswagen nur auf der seit 1952 im Berufsverkehr betriebenen Linie 1E eingesetzt werden, für die in jenem Jahr am Platz der DSF – für die Jüngeren unter den geneigten Lesern: Platz der deutsch-sowjetischen Freundschaft – eine Zwischenwendeschleife gebaut worden war. Immerhin lag die Taktzeit in diesen Jahren bei 6 Minuten, bis dahin war insbesondere bei Verspätungen ziemlich viel Hektik beim Umkuppeln in der Hochheimer Straße… Abgesehen davon war für das Fahrgastaufkommen am westlichen Ende eine solche Taktfolge nicht notwendig.

Die meisten vorhandenen Einrichtungswagen wurden zu dieser Zeit aber auf den vom Betriebshof Nordhäuser Straße zu bestückenden Linien 2,3 und 5 eingesetzt, erst weitere Neuzugänge von Gothawagen ließen auch auf der Linie 1 diese Wagen erscheinen. Wegen des Fahrgastaufkommens wurde ab 1967 die Linie 1 dann mit 3-Wagen-Zügen befahren. Für diese Linie erhielten dann übrigens die letzten Gotha-Gelenkwagen für Erfurt hinten ESW-Kupplungen, um mit einem zusätzlichen Beiwagen behängt werden zu können.

Mit der Neuanlieferung von Gothawagen verringerte sich der Bestand an Altbaufahrzeugen kontinuierlich. Im Jahr der Aufnahme waren nur noch die in den 50er Jahren modernisierten Triebwagen des Baujahrs 1930 und jene ab 1936 gelieferten Standardwagen, die im Bild zu sehen sind, vorhanden, wenngleich sich deren Reihen durch Ausmusterungen oder Umsetzungen zu anderen Betrieben bereits merklich lichteten. Zum Schluss sei noch das weitere Leben des 1942 beschafften Beiwagens 245 erwähnt: Er wird 1970/71 zum Einrichtungsbeiwagen umgebaut und unter der Nummer 261 wieder in Fahrt kommen, weiterhin in den noch benötigten Altbauzügen. 1979 folgt dann nach 37 Jahren seine Außerdienststellung und Verschrottung.

1967 oder 1968 - Blick auf den Bahnhof

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Diese Postkarte ist von der Aufnahme her ziemlich genau zu datieren: 1967 oder 1968. Gerade ist die Eisenbahnmagistrale in Richtung Halle/Leipzig elektrifiziert worden – siehe Fahrleitungsmasten, andererseits haben die Reko-Reisezugwagen der Reichsbahn noch keine EDV-Nummern, die Ende 1968 bei allen neueren Reisezug- und Güterwagen eingeführt und angeschrieben wurden, immer unter dem DR-Symbol und daher gut zu erkennen. Und erkennbarerweise ist das auf den abgebildeten Wagen nicht so.

Die sichtbaren Fahrzeuge versprühen den Charme der 60er-Jahre, sowohl die Gothawagen auf der Linie 2 zum Stadtpark wie auch die spöttisch “Genickschusswagen” genannten Reisezugwagen, die auf den Untergestellen alter Abteilwagen aufgebaut waren.

Die neuen, leichteren Wagenkästen aus Stahl statt Holz führten zu einer Verschlechterung der unveränderten Federung der Fahrgestelle. Und da die Rückenlehnen der Kunststoffledersitze eigentlich zu niedrig waren, gerieten längere Fahrten in den Wagen zur Tortur. Die Ausmusterung dieser Wagen, die in vielen Personenzügen liefen und deren große Schiebetüren an nur einem Wagenende markant waren, begann Mitte der 80er-Jahre, aber ein Teil erlebte sogar noch das Zeitalter der DB AG Anfang der 90er.

Ältere Zeitgenossen werden den unverwechselbaren Geruch nach Bohnerwachs, Linoleum, kaltem Zigarettenrauch und Urinstein der nicht sonderlich einladenden Toiletten noch in Erinnerung haben. Das alles ist schon so lange her.

1969 - Bahnunterführung am Schmidtstedter Knoten

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In unserem Archiv befindet sich diese Aufnahme der Bahnunterführung am Schmidtstedter Knoten von 1969. Die Taxiabteilung war vom Kraftverkehr zur EVB gewechselt, die genauen Gründe dafür liegen etwas im Dunkeln. Noch war das charakteristische Merkmal der Taxen der weiße Karostreifen am schwarzen Fahrzeug, schon in den zwanziger Jahren hatten Kraftdroschken - so ihr offizieller Name - so auszusehen.

Interessant ist das Verkehrsgeschehen an dieser neuralgischen Kreuzung, dass es dringend geboten war, dieses Nadelöhr zu beseitigen, dokumentiert das Bild eindrucksvoll. Etwas auseinandergezogen ist eine Militärkolonne unterwegs (ganz links ist noch ein Schützenpanzerwagen 152 auszumachen). Solche Aufnahmen waren nicht ganz ungefährlich, wie schnell wurde eine Zusammenarbeit mit dem Klassenfeind konstruiert...

Was zeigt das Bild noch? Vorn sind die Gleise der alten Linie 4 zur Breitscheidstraße zu erkennen, die Obusfahrleitungen für die Linien nach Daberstedt und Melchendorf ebenso. Und bemerkenswert ist noch das Vorhandensein nur eines Rückspiegels links an den Pkw. So war das 1969....

60er-Jahre - Bus der Serie 1 bis 6

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In unserem Archiv fand sich diese - etwas unscharfe - Bildkopie eines alten Zeitungsartikels aus den 60er Jahren. Ein Jahr nach Übernahme zweier privater Busbetriebe aufgenommen, sehen wir einen Bus der Serie 1 bis 6, die anlässlich des nunmehrigen Betriebes unter der Flagge der städtischen Straßenbahnaktiengesellschaft beschafft wurden. Die 1925 gelieferten Busse stammten von der NAG und waren wesentlich größer als die von den Privatfirmen übernommenen Busse 7 bis 13. Der Bus steht an der Ecke Hans-Loch-Straße/Stadtweg und dürfte auf der Daberstedter Linie im Einsatz sein (theoretisch wäre natürlich auch eine Sonderfahrt möglich).

Zu dieser Zeit hieß Daberstedt offiziell noch Neudaberstedt, weil das alte Daberstedt 1813 von den Franzosen niedergelegt wurde, um den heranrückenden Preußen keine Deckungsmöglichkeit zu geben und freies Schussfeld für die Artillerie zu haben. Nach Abzug der Franzosen durfte die Flur zunächst auch nicht wieder bebaut werden, erst mit der Entfestigung der Stadt Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich dies. Um 1900 setzte die Bebauung ein, aber mit recht langen Wegen zur Stadt bzw. zu den Straßenbahnlinien in der Windhorststraße und in der Weimarischen Straße.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde deshalb eine Buslinie zum Anger eingerichtet, die mit dem Verlauf der heutigen Linie 9 aber wenig gemein hatte, weil ein Großteil der Straßen noch gar nicht vorhanden war. Mit 25 Rpf. war ein Busfahrschein übrigens erheblich teurer als eine Straßenbahnfahrkarte, dennoch wird die Aktiengesellschaft eine ganze Weile an der Wirtschaftlichkeit des Busbetriebes zu knabbern haben. Die goldenen Zwanziger waren so golden nicht...

Vielleicht ist noch interessant, ein paar Worte zur Firma NAG zu verlieren. NAG ist die Abkürzung für Nationale Automobilgesellschaft, eine seit 1901 in Berlin ansässige Tochterfirma der AEG und eigens zu dem Zweck gegründet, Fahrzeuge für den Straßenverkehr zu bauen. Wir erinnern uns: Es ist zu dieser Zeit überhaupt nicht klar, welche Antriebsform für den motorisierten Straßenverkehr das Rennen machen wird, Dampf- und Elektroantrieb sind noch im Rennen. Und falls es der Elektroantrieb sein sollte, hat die AEG einen neuen Absatzmarkt. Aber es setzte sich der Verbrennungsmotor durch und die NAG reagierte entsprechend. Zeitweise war die NAG nach Daimler Benz der zweitgrößte Nutzfahrzeughersteller in Deutschland.

Die wirtschaftliche Entwicklung in den zwanziger Jahren machte allen Fahrzeugherstellern zu schaffen, viele kleine Fahrzeugbauer mussten die Fertigung einstellen. Die ebenfalls angeschlagene NAG, die zeitweise sogar Straßenbahnwagen für die Berliner Straßenbahn baute, versuchte eine Fusion mit Büssing, wurde aber 1932 ganz übernommen (was den Nutzfahrzeugbau anging). Und damit erlosch der Name, der zumindest in den Zwanzigern einen guten Klang hatte.