Eindrücke aus den 1990er-Jahren

1990 - Straßenbahnverlängerung zum Roten Berg

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Mitten in die Wende hinein geriet die Straßenbahnverlängerung zum Roten Berg. Die Bauabläufe in jener turbulenten Zeit gerieten schnell durcheinander, Baubetriebe wurden umstrukturiert, mancher Kollege suchte sein Glück weiter westwärts. Wenngleich das meiste Material für den ersten Bauabschnitt von der Vollbracht- zur Grubenstraße bereits vorhanden war (sonst war Bauen in der DDR schließlich unmöglich...) gerieten auch die Lieferketten durcheinander. Es mussten nicht nur technische Lösungen gefunden, sondern auch kaufmännische Fragen geklärt werden. Man erinnere sich: Die Einführung der D-Mark im Juli 1990...  Damals wurde von den Kollegen schier Unglaubliches geleistet, um die Streckenverlängerung fertig zu bekommen. Hilfreich war in jedem Fall die unbürokratische Herangehensweise der noch rudimentär existierenden Behörden des Bezirkes Erfurt, der Staatsbank der DDR, des Verkehrsministeriums in Berlin wie auch der Deutschen Reichsbahn einschließlich der Staatlichen Bahnaufsicht. Allesamt Praktiker, sehr hilfreich im Finden auch unkonventioneller Lösungen und auch beseelt von einer gewissen Aufbruchstimmung.

Unser Bild zeigt die südliche Rampe unserer Straßenbahnbrücke über den Nordbahnhof am Eröffnungstag der nun bis zur Gleisschleife Grubenstraße führenden Strecke. An jenem 29.09.1990 fand dort ein Volksfest statt, das sicher zu den positiven Ereignissen in jener Zeit zu rechnen ist. Bis zur Streckeneröffnung des zweiten Bauabschnittes wird es noch bis 1992 dauern, bis dahin muss noch an der Grubenstraße zum Roten Berg umgestiegen werden. Und nicht zu vergessen: Nun konnte sich jeder ein Auto kaufen, der sich das leisten konnte, aber den Verantwortlichen war klar, dass unsere schöne Heimatstadt in der Blechlawine ersticken könnte und anderes verdient hat...
Bei der Eröffnung ebenfalls mit dabei und damals erst 5 Monate im Fahrdienst beschäftigt, war EVAG-Mitarbeiter Andreas Lange. Von ihm stammen die nachfolgenden Farbaufnahmen des Eröffnungszuges sowie des damals aus Essen ausgeliehenen M8C.
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1991 - Tatras auf dem Betriebshof Magdeburger Allee

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Ein Zeitsprung in das Jahr 1991: Auf dem Betriebshof Magdeburger Allee stehen 2 Tatra-Wagen des letzten nach Erfurt gelieferten Fahrzeugloses. Die 1990 gelieferten Wagen 536 bis 555 waren 1988 bestellt oder besser zugeteilt worden, als der Untergang der DDR noch unvorstellbar erschien. Eigentlich sollten die Wagen schon 1989 geliefert werden, denn in Erfurt herrschte, wie in anderen DDR-Straßenbahnbetrieben auch, eklatanter Fahrzeugmangel. Lieferverzögerungen waren aber zu der Zeit nicht ungewöhnlich und hatten verschiedene Ursachen, die Volkswirtschaft unseres Nachbarlandes lief etwas anders als die der DDR, aber sicher nicht besser. Noch Anfang 1990 liefen in Prag Verhandlungen, die Fahrzeuglieferungen zu stornieren, denn zu der Zeit waren rasante Veränderungen im Nutzungsverhalten der öffentlichen Verkehrsmittel unübersehbar. Davon abgesehen erschien zeitgemäßere Fahrzeugtechnik erreichbar, und sei es nur stromsparende Choppertechnik, mit der Tatra-Wagen bislang aber nur nach Berlin geliefert worden waren.

Nun – die Prager entließen uns nicht aus unserem Vertrag. Wir konnten nur neues Sitzgestühl, erstmals Haltestellenansagegeräte und eine neue Lackierung durchsetzen. Und da man zu dieser Zeit noch keine künstlerische Beratung durch Designer für entsprechenden Obolus brauchte, reichte ein Anruf nach Freiburg im Breisgau, deren Fahrzeug-Gestaltung uns gefiel, um Urheberrechte (macht einfach…) und RAL-Nummern zu klären. Aber wir hatten ja auch keine Zeit, die Fahrzeuge waren in der Fertigung. Mit dem Sitzgestühl hielt übrigens standardmäßig die 3. Sitzreihe in den Tatras Einzug, zuvor hatten das nur 4 eigentlich für Gotha bzw. Frankfurt/Oder vorgesehene Wagen. Und die Sitze waren gepolstert, der wenig Freude bereitende grün gestreifte Stoff war allerdings nicht sehr widerstandsfähig. Von den gelieferten 20 Wagen wurden übrigens 7 Wagen nach Cottbus weitergegeben, ohne in Erfurt eingesetzt gewesen zu sein, und deswegen hat Cottbus heute eine Fahrzeuggestaltung wie Erfurt…

Noch ein Blick nach links: Wir erblicken das Heck eines MAN-Gelenkbusses in der Lackierung der Mainzer Stadtwerke. 6 dieser Fahrzeuge hatte uns unser Partnerbetrieb 1990/91 als Erste Hilfe geschenkt. Der Zustand einiger Ikarusgelenkzüge war bedenklich, wir konnten die Fahrzeuge daher gut gebrauchen. Die zwischen 1977 und 1979 gebauten Fahrzeuge vertrugen allerdings unsere Straßen nur schlecht. Bereits nach kurzer Zeit kam es zu Rahmenbrüchen, die sich nur kompliziert schweißen ließen. Das lag daran, dass die Rahmen gegen Korrosion ausgeschäumt waren und beim Schweißen giftige Dämpfe frei setzten. Als Reaktion darauf wurden die Wagen 401-406 möglichst auf Linien mit etwas besseren Straßen eingesetzt, um die Rahmenbrüche zu minimieren. In Anbetracht des Alters der Wagen lohnten große Instandsetzungsarbeiten (Motoren, Achsen, Getriebe und natürlich der Aufbau) aber nicht mehr, obwohl der Fahrzeughersteller noch die volle Ersatzteilversorgung sicherte. Und so kam das Einsatzende ab Ende 1992 und ein Jahr später war kein SG 192 mehr in EVAG-Diensten. Als 1994 dann die ersten 7 Niederflurgelenkbusse geliefert wurden, begann die Nummerierung wieder bei 401.

Das Bild stammt von Bernd Stützer, einem ehemaligen Fahrer der EVAG.

1992 - Niederflurbus an der Ringelbergtreppe

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Wer heute mit der Stadtbahn zum Ringelberg fährt, passiert auch die alte Obus-Endstelle an der Ringelbergtreppe. Auch ist die alte Schleife der Endstelle noch zu erkennen. Nach der Einstellung des Obus-Verkehrs dorthin wurde die Linie A von Dieselbussen befahren. Immerhin verkehrte 1992 auf der Linie schon ein Niederflurbus. Das war auf der damals noch teilweise gepflasterten Leipziger Straße schon etwas speziell... Die davor und auch noch 1992 eingesetzten Ikarus 260-Busse steckten zwar den Straßenzustand besser weg, klapperten aber ebenfalls gehörig. Da hat sich der Fahrkomfort mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn im Jahre 2000 schon merklich weiterentwickelt. Ehrlicherweise sei aber angemerkt, dass der Straßenzustand natürlich einen wesentlichen Einfluss auf den Fahrkomfort eines Busses hat. Die heutige Niederflurtechnik zeigt das sehr deutlich.