Obus in Erfurt

Oberleitungsomnibus, O-Bus, Obus, Trolleybus, Trolley oder gleislose Bahn – ganz schön viele Schreibweisen für ein und dasselbe Verkehrsmittel. Von 1948 bis 1975 sorgten die Busse mit Elektromotor und Oberleitung auch in Erfurt zuverlässig für reibungslosen Verkehr, bis sie letztendlich von Straßenbahn und Bus (ihren nahen Verwandten) ersetzt wurden.

Obusse waren zuverlässig, günstig im Unterhalt, brauchten weder kontingentierten Diesel noch aufwendige Schienenstränge. Ihr Problem war auf Dauer, dass sie weniger Passagiere als Straßenbahnen befördern konnten ­– ihr Nachteil gegenüber „normalen“ Bussen lag in den aufwendigen Oberleitungen, die sie für die Stromaufnahme brauchten.

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Unser Bild aus dem Jahr 1964 zeigt den Obus 13 im Betriebshof in der heutigen Magdeburger Allee.

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg plante Hamburg den Ersatz mehrerer Straßenbahnlinien im Stadtteil Harburg. Wenngleich bis zum Ende des Krieges die Aufnahme des Obusbetriebes nicht zustande kam, wurden neben Fahrleitungsmasten und Teilen für die Fahrleitungsanlage zwölf Fahrgestelle entsprechend der Obus-Normgröße III geliefert, die für den Bau von Doppelstockobussen vorgesehen und deshalb zur Einhaltung der Achslast dreiachsig waren. Der Ausbau des Obusbetriebs kam auch deswegen ins Stocken, weil Hamburg bereits 1943 eines der ersten Ziele des nun über Deutschland hereinbrechenden Bombenkrieges war und die vorhandenen Ausrüstungen zur Wiedergangbarmachung des Straßenbahnbetriebs benötigt wurden. Dabei wurden auch zwei der erwähnten Fahrgestelle, die die Firma Henschel mit AEG-Ausrüstung geliefert hatte, zerstört. Fünf weitere Fahrgestelle wurden noch 1943 nach Hildesheim abgegeben, so dass bei der Hamburger Hochbahn noch fünf Fahrgestelle verblieben.

Als 1949 in Hamburg dann der Obusbetrieb aufgenommen wurde, geschah dies mit neu angelieferten Obussen der Normgröße II von Henschel und BBC, wie auch in der sowjetischen Besatzungszone durch Komplettierung bereits angearbeiteter Teile aus der Kriegszeit. Die Fahrleitungsanlage wurde allerdings sehr hoch ausgeführt, um den Einsatz von Doppelstockobussen auch im Nachhinein noch zu ermöglichen. Als durch weitere Streckenverlängerungen dann noch Fahrzeuge benötigt wurden und die Auslastung der Industrie Kapazitätsengpässe spürbar werden ließ, wurde entschieden, die noch vorhandenen fünf Fahrgestelle samt Elektroausrüstung einem Karosseriehersteller zum Aufbau zuzuleiten. Den Auftrag erhielt die Nordwestdeutsche Fahrzeugbau GmbH in Wilhelmshaven und Anfang 1953 wurden die Fahrzeuge in Betrieb genommen. 11 Meter lang und 4,80 Meter hoch waren – und blieben – diese Obusse einmalig in Deutschland.

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Doch bereits Anfang 1956 musterte die Hochbahn die Doppeldecker aus wegen der Umgestaltung von Straßenzügen, bei denen Obuslinien nicht berücksichtigt wurden. Man wollte einen Mischbetrieb zwischen einstöckigen und zweistöckigen Fahrzeugen auf dem verbliebenen Netz vermeiden und erhoffte sich gerade von den neuen Fahrzeugen noch einen guten Verkaufserlös. Uns ist nicht bekannt, wen man da im Auge hatte, denn zumindest in Deutschland gab es keinen Obusbetrieb, der so hohe Fahrzeuge unter seine Fahrleitungen bekam. Und so wurden die Fahrzeuge an einen Schrotthändler in Sankt Pauli verkauft.

Zu dieser Zeit besaß die Erfurter Straßenbahn noch gute Kontakte zum ehemaligen Hauslieferanten AEG, von denen ja die Elektroausrüstung der Busse stammte, und so wurde ein nicht alltäglicher „Deal“ auf den Weg gebracht, bei dem die EVB die fünf Fahrzeuge zum Schrottwert übernahm und in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1957 im Schlepp von drei Zugmaschinen des VEB Kraftverkehr nach Erfurt überführte. Bezahlt wurde übrigens von einem Vorkriegskonto der EVB, das wie alle anderen Konten auch, nach der Währungsumstellung im Westen Bestand hatte und 1990 noch existierte. Übrigens mussten nach der Schilderung eines alten Kollegen solche Geschäfte mit dem östlichen Klassenfeind von einer speziellen bundesrepublikanischen Regierungsstelle abgenickt werden, da war die Deklarierung als Schrott sicher sehr hilfreich.

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Ein Obus, unterwegs 1969 auf der Clara-Zetkin-Straße, Ecke Häßlerstraße

Die Konstruktion der Obusse, bei der das Oberdeck auf das Unterdeck geschraubt war, ermöglichte es relativ leicht, die Busse einstöckig zu machen, allerdings war das Anpassen des Daches wohl nicht so ohne, da es geometrisch nicht 1:1 auf das Unterdeck passte. Außerdem mussten die Fahrzeuge noch eine andere Luftbremsanlage erhalten, da sie für den Anhängerbetrieb zu adaptieren waren, denn ohne Oberdeck war das Fassungsvermögen natürlich erheblich kleiner. Nicht ohne Stolz präsentierten die Kollegen den ersten Obuszug bereits im September 1957 im Fahrgastbetrieb. Die Ernüchterung folgte bald. Die Umrüstung der Fahrgestelle auf weichere Blattfedern konnte die „brettharten“, weil für einen schweren Doppelstockbus vorgesehenen, Fahrgestelle trotzdem nicht sonderlich komfortabel machen, was nicht gerade zur Beliebtheit bei Fahrern und Schaffnern beitrug.

Der Reparaturaufwand war für die ja eigentlich von 1943 stammenden Fahrzeuge beachtlich. Und dann schnitt der Mauerbau 1961 auch noch die Kontakte zur in Westberlin sitzenden AEG ab. Von den Wagen mit den Nummern 12 bis 16 wurde daher 1961 Wagen 12 als Ersatzteilspender abgestellt, 1962 traf es Obus 14, 1964 Wagen 15 und 1965 die verbliebenen Wagen 13 und 16. Zur Schonung hatte man ihnen in den letzten Jahren schon keine Anhänger mehr mitgegeben, damit war das Platzangebot aber geringer als bei den LOWA- und Skoda-Obussen und die Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt. Den Schilderungen älterer Kollegen nach weinten ihnen niemand eine Träne nach, zumal in jenen Jahren neue und modernere Skoda-Obusse beschafft werden konnten.

Gefahr des Stromschlags

Im Betrieb der Obusse stellte sich im Winter die Vereisung der Fahrleitung als Problem heraus, insbesondere deshalb, weil bei fehlendem Rückleiter ein Obus zwar durch die Reifen isoliert war, aber ein einsteigender Fahrgast als Überbrücker der Isolation einen elektrischen Schlag bekommen konnte. Die deshalb heute bei Obussen vorgeschriebene doppelte Isolation (oder eine andere galvanische Trennung) war damals nicht Stand der Technik. Also mussten Vorkehrungen getroffen werden, um dieses Isoliertstehen zu vermeiden.

Der Fahrer wurde durch eine Hupe, Stromhupe genannt, gewarnt, dass sein Fahrzeug isoliert steht und er, nachdem er mit geschlossenen Beinen aus dem Fahrzeug gesprungen ist, mittels einer Eisenstange eine Überbrückung zur Erde herstellen konnte. Diese Hupe war recht laut und eindringlich und auch für die Fahrgäste gut vernehmbar. Sie ertönte des Weiteren, wenn eine der Stangen entgleist war und ist vielleicht von daher noch dem einen oder anderen älteren Mitbürger vertraut.

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Der Turmwagen mit mit Stromabnehmer und Fettschmieranlage

Zur Enteisung der Oberleitungen erhielt 1958 ein alter Turmwagen Stromabnehmer und eine Fettschmieranlage für graphithaltiges Fett, das die Anhaftung des Eises an der Fahrleitung und die Funkenbildung verhindern sollte.

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Trommsdorffstraße 1947: Zwei Arbeiter montieren auf einem Vorkriegs-Mercedes-Laster eine neue Obusleitung – ein Jahr später startete der Einsatz der Omnibusse mit Elektroantrieb

In den 30er Jahren war ein Mercedes-Lkw-Fahrgestell beschafft worden. Offenbar hatte er den Krieg einigermaßen überstanden, denn wir sehen ihn auf einem Foto in der Trommsdorffstraße 1947 bei Montagearbeiten der neuen Obusfahrleitung – der schon seit Jahrzehnten auf einem anderen Fahrzeug im Einsatz stehende Holzaufbau war im selben Jahr montiert worden. Der damals allgegenwärtige Reifenmangel führte dazu, dass die Hinterachse ohne Zwillingsbereifung auskommen musste. Die Montage der Fahrleitung erfolgte übrigens vollständig in eigener Regie, da dafür keine Firmen als Auftragnehmer zur Verfügung standen.

Übrigens: Der alte Turmwagen mit den Stangen wurde Mitte der 60er Jahre ausgemustert, von da an wurde in Raureifnächten wie bei der Straßenbahn einfach durchgefahren, um Anhaftungen an der Fahrleitung zu vermeiden.